Die Brot-Weltmeister achten immer mehr auf Betriebswirtschaft
Wenn Ulrich Lob in seiner Eigenschaft als Obermeister der Bäckerinnung Bergisches Land tagsüber zu Terminen fährt, dürfte er ein Gefühl nicht kennen: Hunger. Die Innung hat 88 Mitglieder, von denen viele Filialen unterhalten – da ist die nächste Bäckerei nie weit.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Zahl der selbständigen Bäckerei-Betriebe in den vergangenen Jahrzehnten in ganz Deutschland kontinuierlich abgenommen hat. Knapp 15.800 Unternehmen zählte der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks noch zum Ende des letzten Jahres. Die Zahl der Filialen rechnete er allerdings auf 30.000 hoch, so dass es insgesamt rund 46.000 Bäckerei-Fachgeschäfte in der Bundesrepulik geben dürfte.
Auch in der Region hat sich der Konzentrationsprozess fortgesetzt. Viele Betriebe haben keinen Nachfolger. Der Trend geht eindeutig zu ein oder zwei Filialen. Weshalb das so ist, verdeutlicht eine einfache Rechnung: Wenn ein Ehepaar mit seinem Betrieb ohne Filialen 500.000 Euro Umsatz und vielleicht 15 Prozent Gewinn erwirtschaftet, dürften die beiden darüber nachdenken, ob sie nicht besser als Angestellte arbeiten gehen. Bezieht man dann noch ein, dass ein neuer Ofen rund 100.000 Euro kostet, wird schnell klar, dass sich das für viele nicht lohnt.
Einige Kollegen allerdings seien so stark an ihrem Standort, dass sie nach wie vor nur ein Geschäft hätten, sagt Ulrich Lob: „Vor allem im Oberbergischen Kreis werden die kleineren Betriebe nach wie vor ihre Chance haben.“ Grundsätzlich ist der Bäcker um die Ecke nach wie vor gefragt, weil hier die Nähe zum Kunden und die Bekanntheit der Inhaber-Familie eine große Rolle spielen. Genau diese Vorzüge zeichnen ja den Meisterbetrieb aus. Sie entsprechen auch dem Leitbild des deutschen Bäckerhandwerks, das die Verbundenheit mit der jeweiligen Region durch drei Worte ausdrückt: „Heimat, Handwerk, Herzlichkeit.“
Das klingt nach Kontinuität und danach, als ob im traditionsreichen Bäckerhandwerk immer noch vieles so sei wie früher. Kein Eindruck könnte falscher sein. In einer modernen Bäckerei nimmt die Kühlung ungefähr dreimal so viel Raum ein wie die Ofenfläche. Kein Bäcker kann heute mehr alles jeden Tag frisch backen. Andererseits will der Kunde kein Brot vom Vortag kaufen, obwohl die meisten Brote ihren vollen Geschmack erst am zweiten Tag entwickeln. Also produzieren die Bäcker ihre Teiglinge vor.
Allerdings kann sich der Kunde darauf verlassen, dass die Produkte in normalen handwerklichen Bäckereien selbst produziert werden. Ganz anders sieht das beim Discounter aus. Die Glo-balisierung hat auch vor dem Bäckerhandwerk nicht halt gemacht. Da kommen die tiefgefrorenen Brötchen-Teiglinge aus China, die Billig-Baguettes aus Vietnam und das Körnerbrot aus der Ukraine. „Wie sehen dort die hygienischen Verhältnisse aus?“, fragt Lob. Bei ihm und seinen Kollegen steht hingegen alle sechs Monate ein Kontrolleur im Betrieb. Im Übrigen sei die Qualität der importierten Teiglinge nicht besonders gut. Dennoch haben die Billigprodukte nach wie vor Wachstumsraten.
Wie sehr sich das Bäckerhandwerk in den letzten anderthalb Jahrzehnten verändert hat, bekommen auch die Kunden mit. Zwar ist Deutschland nach wie vor Brot-Weltmeister. Mit mehr als 300 Sorten Brot und 1200 Sorten Kleingebäck hat sich im Verlauf von ca. 7000 Jahren in Deutschland eine einzigartige Backwarenvielfalt und Backkultur entwickelt. Heute jedoch werden die Brotregale kleiner, weil sich viele Bäcker auf ein Kernsortiment konzentrieren. Manche legen ihr Augenmerk auf das Brot- und Brötchengeschäft, andere wiederum sind sehr stark in der Konditorei, wieder andere haben mit Bio-Backwaren oder Schwarzbrot ihre Nische gesucht und gefunden.
Dahinter steckt pure Betriebswirtschaft. Top-Qualität ist zwar nach wie vor das oberste Gebot für einen Bäcker, aber das al-leine reicht nicht mehr. Er muss aufpassen, dass ihm die Kosten nicht aus dem Ruder laufen. So hat die Explosion bei den Energiepreisen dazu geführt, dass die durchschnittlichen Aufwendungen der Betriebe für Energie alleine in den letzten beiden Jahren von drei auf fünf Prozent des Umsatzes gestiegen sind. Gleichzeitig ist aber auch das Mehl deutlich teurer geworden – die Betriebe sitzen in der Kostenfalle.
Befreien können sie sich daraus nur durch höhere Verkaufspreise. Ein schwieriges Thema. Gerade jetzt ist es problematisch, die Preise zu anzuheben. Bei Brot mag das noch funktio-nieren, aber die Brötchenpreise sind weitgehend unangetastet geblieben. Dabei hat die Finanzkrise das Bäckerhandwerk im Bergischen Land noch gar nicht erreicht. „Wenn Ford und die großen Unternehmen in unserer Region Stellen abbauen und die Kunden weniger Geld in der Tasche haben, wird’s ohnehin eng“, befürchtet Ulrich Lob.
Die gute Nachricht ist: Es gibt auch Segmente, die wachsen. Dazu gehört der Snack-Bereich. Vor 15 Jahren hat niemand in einer Bäckerei ein belegtes Brötchen gekauft – heute ist das Standard. Inzwischen werden durchschnittlich neun Prozent des Umsatzes in Bäckereien mit Snackprodukten gemacht. Zudem sind hier die Discounter kaum eine Konkurrenz, weil sie mit ihrer dünnen Personaldecke die frische Snackherstellung kaum leisten können.
Vor allem Berufstätige, junge Menschen und Singles kaufen Snackprodukte. Damit ist klar: Gerade beim Snack-Sortiment hängt der Erfolg entscheidend vom Standort ab. Frequenz ist hier alles. Im Leverkusener Bahnhof werden mehr Kunden zu Snackprodukten greifen als auf dem Dorf. Dort wiederum ist vielleicht die besondere Torte zum Familienfest gefragt - Produkte eben, die es bei den Großen nicht gibt.
Für solche Wünsche braucht man den handwerklichen Bäcker um die Ecke. Und dessen Stärke ist nun einmal, dass er flexibel, aufgeschlossen und innovativ ist und sein Angebot laufend an die Wünsche seiner Kunden anpassen kann – auch dank des hervorragend ausgebildeten und qualifizierten Personals. Auch die Mitarbeiter haben sich längst an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst. Inzwischen müssen viele Fachverkäuferinnen sogar im Geschäft die vorproduzierten Teiglinge backen.
Die Arbeit in der fusionierten Innung ist gut angelaufen. Jedoch staunt der Obermeister auch ein Jahr nach dem Zusammenschluss, wenn er sich auf einer Karte sein Innungsgebiet an-schaut: „Von einer Ecke zur anderen fahre ich hundert Kilometer.“ Umso wichtiger seien seine Stellvertreter Dietmar Schmidt aus dem Oberbergischen Kreis und Christoph Efferoth für den Bereich Leverkusen und Rhein-Wupper als Ansprechpartner für die Betriebe vor Ort.
Gemeinsam mit den weiteren Vorstandsmitgliedern hat man schon einige gute Aktionen gestartet. Vor einigen Monaten etwa beteiligte sich die Innung an der KI.KA-SommerTour 2008 des Kinderkanals von ARD und ZDF. Der Aktionsstand auf dem Gelände der ehemaligen Bundesgartenschau in Leverkusen war ständig von Kindern und Erwachsenen umlagert – eine tolle Sympathiewerbung für das Bäckerhandwerk. Auch beim Sterne-Lauf des Bäckerhandwerks in Bonn war die Innung vertreten.
Weiterbildungsangebote wie Kurse in Betriebswirtschaft oder zu neuen gesetzlichen Verordnungen stehen ebenso auf dem Programm der Bäcker-Innung Bergisches Land wie die öffentlichen Brot- und Stollenprüfungen, bei denen die Bäcker freiwillig und anonym ihre Produkte testen lassen. Für die Zukunft sind neue Schulungen zum Thema „Hygiene“ sowie regionale Aktionen in Gummersbach, Bergisch-Gladbach und Leverkusen geplant. Hier ist der Innungsvorstand dabei, Ideen zu entwickeln.
Damit will die Innung den Betrieben helfen, bei den Kunden im Gespräch zu bleiben und ihre Position im Markt zu stärken. Trotz aller Konkurrenz gehe für viele Menschen in der Region nun einmal kein Weg am Bäckerhandwerk vorbei, sagt Ulrich Lob. Er weiß auch, weshalb: „Unsere Kundennähe und Qualität bleiben unerreicht.“ Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks sieht das genauso. Seine zentrale Botschaft lautet: „HAND.WERK - besser wir backen das Brot.“